HIER WOHNTE
MARIA BERTHA BRÄNDLIN
Jg 1898
1940 DEPORTIERT VON KREISPFLEGE-ANSTALT WIECHS NACH GRAFENECK
1940 GRAFENECK ERMORDET
HIER WOHNTE
OTTO BRÄNDLIN
Jg 1903
1940 DEPORTIERT VON HEIL-UND PFLEGEANSTALT ZWIEFALTEN NACH GRAFENECK
1940 GRAFENECK ERMORDET
Begrüßung durch Marion Caspers-Merk, Sprecherin des AK
Willfried Bussohn referiert über seine Recherchen der Euthanasie-Opfer im Ortsteil Istein.
Grußwort der Isteiner Ortsvorsteherin Daniela Britsche
Presseecho:
Badische Zeitung
Ein Mann und eine Frau aus Istein sind 1940 nachweislich Opfer des Euthanasieprogramms der Nazis geworden. Nun gibt es möglicher-weise einen weiteren Fall, der aber noch nicht bestätigt ist.
Der frühere Efringen-Kirchener Gemeinderat Wilfried Bussohn hat sich als Mitglied der örtlichen Aktionsgemeinschaft für die Verlegung von Stolpersteinen intensiv um das Schicksal von behinderten Menschen geküm-mert. Dabei konnte er aufdecken, dass ein Mann und eine Frau aus Istein 1940 Opfer des national-sozialistischen Tötungsprogamms von "lebens-unwertem Leben" geworden sind, dass weithin unter der Kurzformel "T4" bekannt geworden ist.
Bei einem Vortrag in der Alten Schule in Efringen-Kirchen berichtet Bussohn, dass die entfernt verwandten Otto Brändlin (Jahrgang 1903) und Maria Bertha Brändlin (Jahrgang 1898) in der schwäbischen Tötungsanstalt Grafeneck ums Leben kamen. Die Gedenkstätte Grafeneck habe das bestätigt.
Demnach wurde Maria Bertha Brändlin am 31. Juli 1940 von Wiechs nach Grafeneck gebracht und dort noch am selben Tag in einem Schuppen mit Kohlen-monoxid getötet. Das Standesamt in Istein erhielt aber eine Mitteilung, dass ihr Tod am 23. August in der Anstalt Sonnenstein im sächsischen Pirna eingetreten sei – offenbar ein Versuch, die Umstände zu verschleiern. Der damalige Pfarrverweser hatte aber offenbar Zweifel. Er übertrug die Mitteilung ins Taufregister und merkte auf Lateinisch an: "Qui legat, intelligat" – "Wer liest, versteht es."
Bereits am 9. Mai 1940 war Otto Brändlin von der Pflegeanstalt in Zwiefalten, wo er damals untergebracht war, nach Grafeneck verlegt und ebenfalls noch am selben Tag dort ermordet worden. Für beide Euthanasie-Opfer sollen nun im Herbst Stolpersteine in Istein verlegt werden.
Möglicherweise könnte aber noch ein dritter hinzukommen. Bussohn ist bei seinen Nachforschungen nämlich noch auf einen weiteren auffälligen Eintrag im Isteiner Familienbuch gestoßen. Demnach ist Maria Luisa Brändlin (Jahrgang 1884) in Hartheim/Oberdonau gestorben, wo sich ebenfalls eine Tötungsanstalt befand. Allerdings ist im Familienbuch als Todes-datum der 2. September 1929 vermerkt, als die Nazis noch gar nicht an der Macht waren.
Veröffentlicht in der Badischen Zeitung vom 11.05.2024
Die Oberbadische
Der Historiker Robert Neisen hat im Laufe der letzten Jahre viele Erkenntnisse über das Schicksal psychisch behinderter Menschen in Breisach, Lörrach und Weil am Rhein gewinnen können.
Im Ortsteil Kirchen hat eine sehr lebendige jüdische Gemeinde gelebt. Der Arbeitskreis Stolpersteine Efringen-Kirchen will an die Ermordeten erinnern. Im Herbst werden in Istein zwei weitere Stolpersteine gesetzt. Dies resultiert aus den Recherchen von Wilfried Bussohn, Mitglied des Arbeitskreises, der die beiden Opfer namhaft machen konnte. Beide befanden sich in den Transporten aus ihrem Pflegeheim in Schopfheim-Wiechs nach Grafeneck und wurden dort ermordet. Marion Caspers-Merk sagte: „Dies war eine Blaupause für die später erbauten Vernichtungslager“. Mit der Gedenkstätte Grafeneck wird an dort 10 654 getötete Menschen gedacht.
Rund 50 Gäste fanden sich zum Vortrag von Historiker Robert Neisen in der Alten Schule in Efringen-Kirchen ein, zu dem der Arbeitskreis Stolpersteine Efringen-Kirchen und der Verein für Heimatgeschichte Weil am Rhein eingeladen hatten. Hintergrund für das Referat ist die Verlegung weiterer Stolpersteine in der Reblandgemeinde. Nachdem im Vorjahr insgesamt acht Stolpersteine im Ortsteil Kirchen verlegt wurden, sollen im Herbst elf weitere Steine folgen. Zwei davon sind für die besagten Menschen mit Behinderung.
Marion Caspers-Merk als Sprecherin des Arbeitskreises begrüßte insbesondere einige Aktive der Stolperstein-Initiativen aus Schopfheim und Zell im Wiesental. Diese hätten auch die Efringen-Kirchener Initiative unterstützt und wertvolle Tipps gegeben. „Nur so entsteht ein Netzwerk der Erinnerungskultur“, sagte Caspers-Merk. Und weiter: „Wichtig ist, den Opfern ihre Namen und Würde zurückzugeben“. Auch Isteins Ortsvorsteherin sprach. „Es ist an uns, für ein friedliches Miteinander zu sorgen“, sagte Daniela Britsche.
Historiker Robert Neisen sagte in seinem Referat, dass – mit wenigen Ausnahmen – die Opfer der NS-Euthanasie im lokalen Bereich die weitaus größte Opfergruppe der NS-Diktatur seien. Dennoch sei diese Gruppe weitgehend vergessen.
Dieses Gedankengut fiel in der NS-Herrschaft auf fruchtbaren Boden und wurde skrupellos umgesetzt. Eines der ersten Gesetze betraf die Organisation und Legitimation von Sterilisationen der „Erbkranken“. Die ersten Gesundheitsämter entstanden, um das Gesetz umzusetzen.
Die lokale Forschung ergab, dass auch Personen in Brombach unfruchtbar gemacht wurden, die selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen konnten. Im Bezirk Lörrach wurden 467 Personen identifiziert, die sterilisiert wurden. Für Lörrach waren es 167 Personen, für Weil am Rhein 35 und für Efringen-Kirchen 13 Personen. Bis zum Kriegsausbruch wurden deutschlandweit schätzungsweise 300 000 Personen unfruchtbar gemacht.
Nach den Forschungen stammten die Opfer aus den proletarischen kleinbürgerlichen Schichten. Neisen sagte: „Man könnte sagen, das bessere Bürgertum entledigte sich derjenigen Personen, die nicht seinen Vorstellungen vom leistungsstarken Mitbürger entsprachen“.
Das weitere Referat betraf die Deportationen und Abholungen im Rahmen der „T4“-Aktion von psychisch kranken Personen aus den Pflegeheimen in Herten, Wiechs und Emmendingen. Vorangegangen waren die Erfassungen in Meldebögen „zu statistischen Zwecken“.
Tatsächlich dienten diese zur Vorbereitung von Selektionen, wo unter anderem festgestellt wurde, ob der Behinderte als „Ballastexistenz“ regelmäßig Besuch erhielt. Die Pläne wurden passend zum Kriegsbeginn umgesetzt. Neisen sagte: „Der äußere Krieg ging auch mit dem inneren Krieg einher“. Es starteten aus „planwirtschaftlichen Gründen“ die Transportbusse von Juli bis Dezember 1940.
Eine der Tötungsanstalten wurde im Schloss Grafeneck im Landkreis Reutlingen eingerichtet. Dort wurden die Personen aus den Transporten meist am gleichen Tag in einer Garage durch Vergasung mittels Kohlenmonoxid ermordet. Es habe sich ein „Experimentierlabor des Holocaustes“ entwickelt. Die Tötungsaktionen endeten Ende Dezember 1940, weil die Proteste von Kirchen und der Bevölkerung zunahmen, zum anderen weil die „Planzahlen“ der Tötungen erreicht wurden.
Weiter gemordet wurde im hessischen Hadamar, wobei das Personal mit seinem „Expertenwissen“ von Grafeneck ebenfalls dorthin ging. Allerdings kam es weiter zu „wilden“ oder „kalten“ Euthanasien in den Pflegeheimen, wo die Insassen verhungerten oder zu Tode gespritzt wurden.
In ganz Deutschland gab es geschätzt 70 000 Euthanasie-Opfer.
Veröffentlicht in der Oberbadischen vom 13.05.2024
Gegen das Vergessen der Vernichtung
Wilfried Bussohn stellte im Rahmen des Referates von Historiker Robert Neisen in der alten Schule Efringen-Kirchen seine eigenen Nachforschungen zu den Euthanasie-Morden von Isteiner Bürgern vor. Nach der Aufarbeitung durch das Mitglied des Arbeitskreises Stolpersteine in Efringen-Kirchen, ist geplant, dass zwei Stolpersteine für NS-Euthanasieopfer im Herbst gesetzt werden.
In den sechs Euthanasie-Mordanstalten Grafeneck, Brandenburg, Bernburg, Hartheim/Oberdonau, Sonnen-stein/Pirna und Hadamar wurden in den sogenannten „T4-Aktionen“ (systematischer Massenmord an Menschen mit Behinderung) bis 1941 schätzungsweise 70 000 Per-sonen ermordet. Wahrschein-lich waren es erheblich mehr, die Schätzungen gingen bis 130 000 Menschen.
Zwangsweise unfruchtbar ge-macht wurden rund 400 000 Menschen, darunter im Kreis-krankenhaus Lörrach durch Chefarzt Karl Keller oder im Schopfheimer Krankenhaus durch den Arzt Friedrich Jutzler. Im Pflegeheim Herten wurden im Rahmen von Entlassung oder Beurlaubung der Pfleglinge ebenfalls Sterilisationen durchgeführt.
In der Tötungsanstalt Grafeneck wurden bis Dezember 1940 offiziell 10 654 Menschen mit Behinderung getötet. Die 10 000. Tötung wurde in Grafeneck mit Blasmusik und Bier gefeiert. 345 Pfleglinge kamen aus dem St. Josefshaus Herten. Darunter befanden sich keine Opfer aus Efringen-Kirchen.
Langsam wich die Arglosigkeit des Pflegepersonals und Zweifel über das Vorgehen der Behörden kamen auf. Dies führte dazu, dass Direktor Vomstein vom St. Josefshaus beim Ministerium des Inneren in Karlsruhe vorsprach und darum bat, die Pfleglinge auf eigene Kosten der Caritas in Herten behalten zu dürfen. Insoweit konnten 126 Schützlinge gerettet werden.
Aus dem Kreispflegeheim Wiechs gingen zwei Transporte am 31. Juli und 2. Dezember 1940 mit insgesamt 108 behinderten Menschen direkt zur Tötungsa-nstalt Grafeneck. Auf der Transportliste vom 31. Juli 1940 befand sich Maria Bertha Brändlin aus Istein, geboren am 2. Dezember 1898 in Istein. Sie wurde noch am Transporttag in einem Schuppen nahe des Schlosses vergast. Als offizielles Todesdatum wurde durch die Behörde der 23. August 1940 aufgeführt. Als Sterbeort wurde Sonnenstein bei Pirna in Sachsen, und als Todesursache wurde Lungenentzündung, Diphtherie und schwere Grippe genannt. Bussohn sagte: „Durch die falschen Bezeichnungen des Todesdatums, des Sterbeortes und der Todesursache wollte man wohl über die wahren Umstände hinwegtäuschen“. Bussohn hatte noch akribisch weitere Feststellungen getroffen: Im Taufregister der katholischen Kirche Istein hatte der Pfarrer beziehungsweise Pfarrverweser die Unstimmigkeiten vermerkt: „Verstorben 23.8.1940 in Sonnenstein bei Dresden, verbrannt“ und fügte hier ein dickes Ausrufezeichen hinzu. Er schrieb ins Taufregister: „Qui legit intelligat“ (wer liest, versteht es).
Das zweite Opfer aus Istein, das einen Stolperstein bekommen soll, ist Otto Brändlin, geboren am 11. Februar 1903 in Istein. Er wurde zunächst in die Heil- und Pflegeanstalt Rastatt verbracht, anschließend kam er nach Zwiefalten und von dort am 9. Mai 1940 nach Grafeneck, wo er am gleichen Tag ermordet wurde.
Auch ein drittes Opfer aus Istein ist nach den Feststellungen Bussohns naheliegend, es handelt sich um Maria Luise Brändlin, geboren am 7. 9. 1884 in Istein. Auch diese wurde in Grafeneck oder Hadamar ermordet. Die NS-Behörden erteilten eine Standesamt-Mitteilung, wonach sie bereits am 2. September 1929 in Hartheim/Oberdonau ver-storben sei – da waren die Nazis noch gar nicht an der Macht. Sie erhielt die Sterbebuchnummer 32/29. Auch hier sei naheliegend, dass das Sterbedatum und der Sterbeort gefälscht wurden. Eine Bestätigung stehe noch aus.
Wilfried Bussohn schloss seinen Vortrag mit einem Zitat: „Das Vergessen der Vernichtung ist Teil der Vernichtung selbst“.
Veröffentlicht in der Oberbadischen vom 16.05.2024
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